Verfolgen wir einmal das Tischgespräch einer beliebigen Familie in einer beliebigen Gemeinde irgendwo in Deutschland:
“Kannst Du mir bitte die Kartoffeln reichen?” fragt der Vater seine Tochter. “Nein, ich habe mir gerade die letzten genommen” erwidert die Tochter. “Ohne zu fragen, ob noch jemand anderes von den Kartoffeln möchte?” fragt die Mutter, mit einem Unterton in der Stimme, der Ärger bedeuten könnte. “Oh, Entschuldigung, ich hatte nicht angenommen, dass die paar Kartoffeln noch jemand essen möchte.” antwortet die Tochter. “Na hör mal, das ist wieder so ein egoistisches Verhalten von Dir” erwidert die Mutter, diesmal bereits mit etwas lauterer Stimme. “Wieso wieder?” fragt die Tochter und erhält prompt eine Antwort. “Weil Du nie fragst, ob jemand anderes noch etwas möchte” entgegnet der Vater…
Wie das Gespräch weitergeht, könnt Ihr an dieser Stelle Eurer Fantasie überlassen.
Was denkt Ihr, wie fühlen sich alle Beteiligten wohl gerade am Essenstisch? Ist diese Art der Kommunikation zielführend, wertschätzend und sorgt dafür, dass sich alle Familienmitglieder beim Essen wohlfühlen?
Letztlich geht es um die Frage, auf welche Art und Weise wir Wörter und Sätze für eine Kommunikation innerhalb der Familie oder auch im Freundeskreis oder mit dem Ehepartner/der Ehepartnerin einsetzen und vor allem, welche Wirkung die Wahl dieser Wörter unter Umständen haben kann.
Wir wollen uns einmal mit den nachfolgenden, wichtigen Aspekten auseinandersetzen
- Warum sage ich bestimmte Wörter in einem bestimmten Zusammenhang?
- Warum bewerte ich eine Situation mit einem Wort?
- Welche Wörter könnte ich anstelle dessen benutzen?
- Welche Haltung kann ich einnehmen, um meinen Standpunkt gegenüber meinen Kommunikationspartnern wertschätzend zu vertreten?
Wenn wir uns das ursprüngliche Gespräch einmal anschauen, dann hat sich die Tochter die letzten, vorhandenen Kartoffeln auf ihren Teller getan, ohne die anderen Familienmitglieder zu fragen, ob diese auch noch Kartoffeln wollen. Hier können wir uns die Frage stellen, ob es vielleicht eine Familienregel gibt, die besagt, dass beim Leeren einer Schüssel IMMER alle Familienmitglieder vorher zu fragen sind.
Vielleicht hat die Tochter sich aber auch gedacht, dass die Menge an Kartoffeln gerade mal so für ihren Hunger reicht. Das Teilen hätte dazu geführt, dass sie hungrig den Tisch verlässt. Nun stellt sich die Frage, ob das tatsächlich egoistisch ist? Aus Sicht der Mutter und des Vaters anscheinend schon, aus Sicht der Tochter wohl eher nicht.
Was besagt das Wort “egoistisch” eigentlich?
Laut Wikipedia bedeutet das Wort “Egoismus” im Grunde Eigeninteresse oder Eigennützigkeit (vgl. Wikipedia – Egoismus). Die Tochter hat sich also aus reinem Eigeninteresse die letzten Kartoffeln auf den Teller getan. Was ist mit Eigeninteresse gemeint? Die Handlung des Essens bis zum Eintreten des Sättigungsgefühls. Das hört sich aus Sicht der Tochter ja erst einmal genau richtig an, denn satt werden wollte sie ja auch.
Also meinen ihre Eltern es im Grunde gut mit ihr, oder? Die Stimme der Mutter und des Vaters hörten sich jedoch nicht so freundlich an. Das liegt daran, dass bestimmte Wörter, Egoismus ist übrigens eines davon, nicht nur im eigentlichen Sinne gebraucht werden, sondern teilweise von uns Menschen mit einer anderen Bedeutung belegt werden.
Womit die Eltern das Wort “Egoismus” genau belegen, lässt sich nur vermuten. Vielleicht meinen sie, dass die Tochter immer nur an sich und nie an andere denkt. Übrigens sind die Wörter “immer” und “nie” für eine Diskussion ebenso ungeeignet. Diese Wörtern verallgemeinern und/oder pauschalisieren und führen oft zu einem Streitgespräch.
Es gibt für die Art und Weise, wie wir unsere Kinder begleiten wollen, kein Patentrezept.
Jedoch können wir auf jede Situation bewusst reagieren. Und auf das, was sich in uns rührt, uns anpickst oder antriggert können wir die Fragen stellen:
- Warum reagiere ich so, wie ich es tue?
- Wie fühle ich mich JETZT? Wie fühle ich mich, wenn diese oder jene Situation eintritt?
- In welcher Rolle sehe ich mich gerade? Begleitende Mutter/Begleitender Vater? Oder schwingen vielleicht Glaubenssätze oder Prägungen aus meiner eigenen Kindheit/Vergangenheit in dem Gespräch mit?
- Ist meine Reaktion gerechtfertigt bzw. angebracht?
- Welche Wirkung möchte ich als Vater/Mutter mit meiner Wortwahl erreichen?
- Was möchte ich meinem Kind/meinen Kindern als Wert mitgeben, was möchte ich Ihnen vermitteln?
Eine Möglichkeit, auf eine Situation zu reagieren, ist aus dem Vorwurfs-DU ins Fühl-ICH zu wechseln. Nimm die ICH-Position ein. Und diese Position solltest Du möglichst frei von Bewertungen einnehmen.
- Ich sehe, dass Du… (was sehe ich tatsächlich? Ich bewerte nicht!)
- Das macht das und das mit mir… (wie fühlst Du Dich, warum fühlst Du Dich so?)
- Was ist Dein Wunsch, bei dem was Du wahrnimmst?
Lasst uns aus dieser Welt gemeinsam einen schöneren Ort machen.
Viele Grüße
Malte vom POTENZIAL-VORAUS Team
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